Rede des Ortsbürgermeisters  am Volkstrauertag 17.11.2024 in Klein Berkel.

Es gilt das gesprochene Wort.

Guten Morgen, sehr geehrte Damen und Herren,

„Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben.“ Das sagte Gustav Heinemann 1969 nach seinen Amtseid zur Ernennung zum Bundespräsidenten.

1944, also vor 80 Jahren, dauerte der von Deutschen entfesselte Zweite Weltkrieg bereits fünf Jahre. Millionen Menschen waren gestorben, neben Militärs auch völlig Unbeteiligte, die vom Krieg überrollt wurden. Die Ermordung der europäischen Juden – von Deutschen begonnen, von Deutschen ausgeführt – war bereits weit vorangeschritten.

Am 6. Juni 1944 waren Truppen der Alliierten in der Normandie gelandet. Der sogenannte D-Day war eine der entscheidenden Wenden des Krieges. Die Landung machte den Weg frei für das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in Deutschland und in den von den Deutschen besetzten Teilen Europas. Am 20. Juli 1944 wagten einige Militärs, die sich in der Nähe Adolf Hitlers aufhielten, noch einmal ein Attentat auf ihn. Es gilt als der bedeutendste Umsturzversuch des Widerstands während des Nationalsozialismus. Bekanntlich misslang das Attentat und der Krieg wütete weiter.

Das Ringen um Macht, Einfluss und Geld stehen auf der einen, die Leiden der betroffenen Menschen auf der anderen Seite. Das ist leider ein zeitloses und universelles Phänomen. Die größte humanitäre Krise unserer Zeit spielt sich derzeit international wenig beachtet im Bürgerkriegsland Sudan ab. 11 Millionen Menschen wurden dort von zuhause vertrieben. Auch in Myanmar tobt ein Bürgerkrieg mit vielen Toten, von dem wir nicht viel hören.

Wir konnten in Deutschland jahrzehntelang in friedlichen Zeiten leben. Krieg war uns fremd. Doch die Zeiten ändern sich und der Wind der Veränderung weht rauher. Die Europäische Union kann nicht mehr wie bisher auf transatlantisch denkende US-Präsidenten vertrauen. Europa muss die Fähigkeit entwickeln, seine Werte und Interessen selbst zu verteidigen.

Der russische Präsident Putin führt den Krieg gegen die Ukraine, seit mehr als zehn Jahren schon – und seit knapp drei Jahren mit einer Brutalität, Rücksichtslosigkeit und imperialen Siegesgewissheit, wie sie unser Kontinent seit 1945 nicht mehr erlebt hat. Da gibt es nichts zu verharmlosen. Wir und eine Reihe westlicher Staaten stehen an der Seite der Ukraine, doch wird das reichen?

Und auch das Kämpfen und Leiden in Israel und Gaza hat kein Ende. Es hat sich sogar noch auf das Nachbarland Libanon ausgeweitet. Wir denken an die Geiseln in Gaza, die seit über einem Jahr in Gefangenschaft sind und auch an die vielen anderen vom Krieg betroffenen Menschen, die dort mit ihren Familien unter unerträglichen Bedingungen leben müssen und nirgendwohin fliehen können.

Ein Krieg endet irgendwann – hoffentlich, aber er endet nicht für alle. Schäden an Gebäuden und Infrastruktur können behoben werden. Zurück bleiben aber tief verletzte Menschen, die aufgrund von Kriegsereignissen das Vertrauen in ihre Mitmenschen verloren haben. Diese Schäden bleiben lebenslang und werden oft auch über mehrere Generationen weitergegeben.

Als der Volkstrauertag 1922 erstmals im Reichstag begangen wurde, hielt der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe, Mitglied der SPD, die zentrale Rede. Der Erste Weltkrieg war 1918 zu Ende gegangen, die politische und wirtschaftliche war Lage verzweifelt. Löbe formulierte einen Gedanken, der weit über die persönliche Trauer, den Schmerz der Hinterbliebenen und Invaliden hinausreicht. Er sagte: „Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu beklagen, bedeutet Abkehr vom Hass, bedeutet Hinkehr zur Liebe, und unsere Welt hat die Liebe nötig“. Dieser Gedanke bedeutet im Kern „Trotz allem!“.

Der Volkstrauertag ist ein Appell an uns alle. Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen. Unser Grundgesetz verbietet einen Angriffskrieg. Wir müssen aktiv für unsere freiheitliche Demokratie eintreten und zwar immer – d.h. auch im Alltag – und überall – d.h. auch auf der Straße und im Supermarkt. Wir müssen unsere Demokratie entschlossen gegen ihre Feinde verteidigen und uns für das friedliche Zusammenleben zwischen Menschen und Völkern einsetzen. Diese Einsicht wachzuhalten und an jüngere Generationen weiterzugeben, ist unsere Aufgabe!


Cord Petersilie