Rede zum Volkstrauertag

Rede des Ortsratsmitglieds Kurt Meyer-Bergmann

Sehr geehrte Klein Berkelerinnen und Klein Berkeler,

Kränze vom SoVD und vom Ortsrat

Ich freue mich, Sie heute zu unserer diesjährigen Gedenkfeier zum Volkstrauertag hier am Denkmal an der Schule in Klein Berkel wieder begrüßen zu dürfen. Lassen Sie uns gemeinsam der Toten der Kriege gedenken.


Das Gedenken an die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts und ihre zahllosen Opfer ist in Europa zur Tradition geworden. Mehr noch, zu einer humanitären Verpflichtung, der wir uns nicht entziehen dürfen und auch nicht wollen..
Es handelt sich nicht um leere Rituale, die in Sonntagsreden abgefeiert werden, sondern um einen festen Bestandteil unseres Lebens, unseres Seins, denn erst das gelebte Bekenntnis zur Vergangenheit macht uns, zu dem, was wir sind.

Das gilt auch und vor allem für die dunklen Seiten der Geschichte. Wir können und dürfen sie nicht abstreifen und vergessen oder gar verdrängen – das würde bedeuten, unsere eigenen Wurzeln abzuschneiden.

Gedenktage sind mehr als rückwärtsgewandte Rituale. Sie geben uns Raum zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Gedenktage sind fester Bestandteil unserer gemeinsamen Erinnerungskultur und sagen viel über den Umgang eines Staates und seiner Gesellschaft mit der eigenen Geschichte aus. Sie erfüllen damit eine wichtige Funktion und sind keine leere Hülle.

Heute an die beiden großen Weltkriege des 20. Jahrhunderts mit ihren nicht begreifbaren Gräueltaten und unzähligen Toten zu erinnern, ist gelebte Tradition, die nicht auf ein pflichtschuldiges Gedenken mit leeren Floskeln und Sonntagsreden reduziert werden kann. Erst das aktive Bekenntnis zu unserer Vergangenheit macht uns zu dem, was wir sind.

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,

Es sind in der Regel runde Jahrestage, die uns unsere Geschichte, die Geschichte unseres Volkes, wieder ins Gedächtnis rufen. In diesem Jahr zählen dazu vor allem die Ereignisse aus dem Jahr 1941, dem dritten Kriegsjahr.

In wenigen Tagen jährt sich der Überfall der Japaner auf Pearl Harbour zum 80. Mal. Mit der damit unmittelbar ausgelösten Kriegserklärung der Deutschen an die USA wurde aus dem bis dahin europäischen Krieg der zweite Weltkrieg.

Vor 80 Jahren begann mit der Besetzung von Jugoslawien und Griechenland und dem kurz darauf erfolgten Überfall auf die Sowjetunion auch der grausame und verlustreiche Angriffs – und Vernichtungskrieg in Ost – und Süd Ost Europa.

Der völkerrechtswidrige Angriff war getrieben von beispiellos entfesselter Gewalt und Hass. Antisemitismus und Anti Bolschewismus prägten den Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker der Sowjetunion.

Ohne die Erinnerung an die Verbrechen, die in dieser Zeit von Deutschland ausgingen und Deutsche verübt haben, ist unsere Geschichte nicht zu begreifen und nicht zu verstehen. Die Erinnerung daran muss in unserem Bewusstsein verankert bleiben und darf nicht verdrängt werden, denn ohne sie haben wir keine Zukunft.

Jede Generation hat die Aufgabe, sich neu mit der Geschichte auseinander zu setzen. Der zunehmende Antisemitismus muss uns nachdenklich stimmen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Antisemitismus und Rassismus sich nicht schleichend zu einer Alltäglichkeit entwickeln, die nicht mehr geahndet wird. Beide sind Nährboden für Krieg und Gewalt. Diesen gilt es sich entschieden entgegen zu stellen.

Die Initiative des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge von 1919, an die gefallenen Soldaten des ersten Weltkrieges zu erinnern, haben die Nationalsozialisten für ihre propagandistische Zwecke instrumentalisiert. Der Volkstrauertag wurde als „Heldengedenktag“ vereinnahmt, der Krieg verklärt.

Heute erinnern wir an diesem Tag nicht nur an die gefallenen deutschen Soldatinnen und Soldaten beider Weltkriege, sondern an alle Opfer von Krieg und Gewalt Herrschaft sowie Diktaturen und Vertreibung aller Nationen.

Der Volkstrauertag ist zum festen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Bundesrepublik geworden. Die wechselhafte Geschichte des Volkstrauertages zeigt deutlich unseren ambivalenten Umgang mit Krieg und unserer eigenen Vergangenheit.

Bundespräsident Frank – Walter Steinmeier hat zu Recht und nicht ohne Grund die traditionelle Toten- Ehrung an diesem Gedenktag um die Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land erweitert.

Der Volkstrauertag ist zugleich ein Aufruf zur Versöhnung, Verständigung und Frieden mit allen Menschen. Der Geist der Versöhnung ist das Fundament für das friedliche Zusammenleben der Völker. Wir sind dankbar, dass wir in einem friedlichen Europa leben dürfen. Dankbar dafür, dass uns unsere Feinde von damals die Hand gereicht haben, obwohl wir ihnen großes Leid und viele Schmerzen zugefügt haben.

Viele – ja die meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger kennen Krieg –auch ich – nur aus den Erzählungen unserer Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern. Deren Erlebnisse sind für uns häufig wenig konkret, kaum greifbar und durch den zeitlichen Abstand verblasst.

Mir ist hier in Klein Berkel bei meinen Besuchen in den letzten fünf Jahren bei unseren älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern immer wieder über deren Erlebnisse auf der Flucht und Vertreibung berichtet worden. Etwa 1,85 Millionen Menschen sind nach Kriegsende hier nach Niedersachsen gekommen und haben hier eine neue Heimat gefunden und den Aufbau unseres Landes mitgestaltet. Gemeinsam mit den Menschen aus zum Beispiel aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien ist das entwickelt worden, was wir hier heute als unsere Gesellschaft und unseren Staat erleben, was unser gesellschaftliches Miteinander ausmacht. .

Unter uns leben aber auch Menschen heute, die Kriege am eigenen Leib erlebt haben. Sei es als Soldaten der Bundeswehr, oder sei es als Kriegsflüchtlinge. Sie sind durch Kriegsgräuel geprägt und können die Erinnerung daran nicht einfach vergessen wie alte Telefonnummern. Wenn sie berichten, was sie erlebt haben, erfährt man unmittelbar, was Krieg im Hier und Jetzt bedeutet und welche Folgen Traumatisierungen für die Menschen und ihre Familien haben.

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg veröffentlicht regelmäßig Zahlen zu kriegerischen Handlungen. Für 2020 hat die Arbeitsgemeinschaft weltweit 29 Kriege und bewaffnete Konflikte gezählt. Manche dieser Auseinandersetzungen dauern schon seit Jahrzehnten an; andere, sind aktuell nur über einen Waffenstillstand fragil unterbrochen.

Mehr als 250 Kriege – davon die meisten außerhalb Europas – hat die Hamburger Arbeitsgemeinschaft seit 1945 dokumentiert. Wir können damit nicht sagen: Krieg existiert nicht!

Wir können nicht sagen: Krieg geht uns nichts an! Nein – die Botschaft muss lauten – nie wieder Krieg! Krieg ist keine Lösung!

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede den 1947 verstorbenen Schriftsteller Wolfgang Borchert zitieren, der in einer Parabel das Verhältnis der Menschen zueinander auf sehr anschauliche Weise beschrieben hat:

Es waren einmal zwei Menschen.

Als sie zwei Jahre alt waren, schlugen sie sich mit den Händen.

Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit Stöcken und warfen mit Steinen.

Als sie zweiundzwanzig waren, schossen sie mit Gewehren nach einander.

Als sie zweiundvierzig waren, warfen sie mit Bomben.

Als sie zweiundsechzig waren, nahmen sie Bakterien.

Als sie zweiundachtzig waren, starben sie und wurden nebeneinander begraben.

Als sich nach hundert Jahren ein Regenwurm durch ihre beiden Gräber fraß, merkte er es gar nicht, dass hier zwei verschiedene Menschen begraben waren. Es war dieselbe Erde.

Alles dieselbe Erde.“

Borchert führt uns glasklar vor Augen, auch wenn uns vieles zu trennen scheint, vieles fremd ist, wir haben alle eine Gemeinsamkeit: wir sind Menschen.

Allein auf Versöhnung, Verständigung und Frieden basiert unsere gemeinsame Zukunft. Diese Botschaft vermittelt uns der Volkstrauertag und macht uns deutlich, wie hoch aktuell dieser Tag ist.


Haben Sie vielen Dank, dass ich zu Ihnen sprechen durfte und dass Sie mir zugehört haben.

Kränze vom SoVD und vom Ortsrat